Rezension: Ian McEwan – Nussschale

Ian McEwan | Nussschale | Aus dem Englischen von Bernhard Robben | Verlag: Diogenes | 26.10.2016 | 288 Seiten | HC Leinen: 22€ / TB: 12€ / eBook: 18,99€ | Amazon**

In Nussschale geht es um die häufig bekannte Konstellation: Vater, Mutter, Liebhaber und Kind. Bis hier hin klingt es fast gewöhnlich, jedoch ist mir bisher keine Geschichte begegnet, die aus der Perspektive des Ungeborenen berichtet wird. Ihr habt richtig gelesen. Vor dem ungeborenen Kind entfaltet sich dieses ganze Drama aus Leidenschaft, Verrat und Mord, es erlebt alles hautnah anhand seiner Sinne und nimmt uns mit auf eine dramatische Reise.


So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau. Ich warte, die Arme geduldig gekreuzt, warte und frage mich, in wem ich bin und worauf ich mich eingelassen habe. […]
Wo werde ich da hineingezogen?
[Nussschale, Ian McEwan, S. 9-10]

Schon der Anfang lässt auf eine spannende Geschichte schließen, bei der man sich in etwa das gleiche denkt, wie das namenlose Kind. Mir fällt es sehr schwer, angemessene Worte für dieses Kunstwerk zu finden, denn meiner Meinung nach ist es genau das – ein wahrliches Kunstwerk. Nussschale war mein erstes Werk des Autors und ich kann sagen, dass ich nun sehr neugierig auf seine weiteren Bücher bin, die im Übrigen alle im hinteren Teil der Lektüre aufgelistet sind.

Der Schreibstil ist einzigartig, voller Metaphern und Vergleiche, fesselnd, schonungslos und zugleich philosophisch. Ich empfand es als wahnsinnig spannend die Umgebung ausschließlich durch die Beschreibungen des Kindes zu erleben, kann es doch nicht sehen und ausschließlich anhand von Geräuschen, aber auch durch Gefühle und Tätigkeiten der Mutter, seine Umwelt wahrnehmen und erfassen. Somit wirkten die Schilderungen teils skurril, teils ungewöhnlich, teils unangenehm. Spannend und zugleich verstörend empfand ich den Aspekt des tatenlosen Zusehens, in welches man in der Perspektive gedrängt wurde. Den Titel finde ich übrigens sehr passend zum Inhalt, ebenfalls das Bild auf dem schlichten Buchcover.

Natürlich haben wir es hier nicht mit der gewöhnlichen Darstellung eines Ungeborenen zu tun, es handelt sich um eine fiktive Erschaffung eines Wesens was bereits im Mutterleib über Moralvorstellungen und eine gewisse Weisheit verfügt, die es in seine Wahrnehmung und Beschreibungen dessen einbaut. Gelungen fand ich die Tatsache, dass die Bindung des Kindes zur Mutter unerschöpflich war, die Liebe grenzenlos, egal was passierte. Leider bestand diese Bindung eher einseitig, was schon alleine dadurch deutlich wurde, dass das Kind bis zuletzt namenlos war, auch wurde es scheinbar eher als Störfaktor wahrgenommen, von allen Parteien.

Nussschale2

Die Mutter fand ich unsympathisch, auf mich wirkte es, als wäre sie verzweifelt, böswillig und psychisch labil. Lediglich ihr Verhalten am Ende des Buches konnte ich nachvollziehen, endlich zeigte sie einen minimalen Ansatz von Stärke und Empathie. Der Vater war eine interessante Figur, den Liebhaber hingegen empfand ich als wahnsinnig dümmlich, grausam und einfach gestrickt, zugleich besaß er leider einen immensen Einfluss auf die Mutter und die Entwicklung der Geschichte.

Die Thematik drehte sich primär um die Personenkonstellationen und die Auswirkungen einzelner Taten und Äußerungen. Die Interaktionen fanden hauptsächlich im Haus des Vaters in London statt, wodurch das Setting eher eingeschränkt war, dennoch fand ich die Geschichte sehr spannend, auch wenn das Ende relativ offen blieb. Dies und die Kürze des Buches empfand ich aber nicht als negativ, im Gegenteil. Mir fehlte nichts, das Ganze wirkte insgesamt rund.

Mit Nussschale konnte Ian McEwan mich vollends begeistern und mir Lust auf seine anderen Werke machen. Es handelt sich um eine kluge, skurrile und fesselnde Geschichte über Verrat und Leidenschaft aus der Sicht eines ungeborenen Kindes. Kategorie: LIEBLING


Weitere Meinungen

„Daraus ergibt sich ein skurriler und ungewöhnlicher Mix, der sich spannend und unterhaltsam lesen lässt. Sicherlich ein Werk, das man mit Augenzwinkern verstehen sollte.“ – Herzpotenzial

„Für mich persönlich ein beeindruckendes Highlight, welches bei mir vor allem durch den geistreichen Humor und der Idee der Perspektive aus Sicht eines Ungeborenen Bewunderung gefunden hat.“ – Sarah Ricchizzi

Blatt-Trenner

Eine klassische Konstellation: der Vater, die Mutter und der Liebhaber. Und das Kind, vor dessen Augen sich das Drama entfaltet. Aber so, wie Ian McEwan sie erzählt, hat man diese elementare Geschichte noch nie gehört. Verblüffend, verstörend, fesselnd, philosophisch – eine literarische Tour de Force von einem der größten Erzähler englischer Sprache. [Quelle]


Buch beim Diogenes Verlag | Buch bei Amazon**

 

 

Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar*.

23 Antworten zu “Rezension: Ian McEwan – Nussschale”

  1. Liebe Nicci,
    Schöne Rezension und spannende Thematik! Ich habe von dem Autor „Abbitte“ gelesen und fand es großartig. Ich möchte auch seinen Schreibstil sehr und Thematik gefiel mir auch. Kann ich dir also auch sehr empfehlen ;)

    Liebe Grüße,
    Ümi 😘

    Gefällt 1 Person

  2. […] Seit dem letzten Leselaunenbeitrag beendete ich Café Morelli (Giancarlo Gemin) aus dem Königskinder Verlag, was mich positiv überraschen konnte [Rezension]. Auch den Comic Moon Girl and Devil Dinosaur habe ich gelesen, das war ein wirklich cooles Leseerlebnis [Kurzrezension]. Danach habe ich Frigid von einer meiner Lieblingsautorinnen, Jennifer L. Armentrout, gelesen. Dabei handelte es sich um eine nette und spannende Lektüre für zwischendurch [Kurzrezension]. Außerdem habe ich Nussschale gelesen, mein erstes Buch von Ian McEwan. Eine wirklich skurrile aber faszinierende Geschichte, insbesondere aufgrund der Erzählperspektive [Rezension]. […]

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  3. Hey Nicci :)
    Oh, das klingt echt interessant und mal nach einer ganz anderen Darstellung. Danke für den Tipp! Von dem Autor hatte ich schon „Honig“ gelesen und mir vorgenommen, mehr von ihm zu entdecken, ich denke, „Nussschale“ wird dann wohl als nächstes an der Reihe sein.

    Liebe Grüße,
    Klaudia :)

    Gefällt 1 Person

  4. Das Buch steht schon ewig auf meinem Wunschzettel, aber bis jetzt war ich mir nie so ganz sicher, ob es wirklich was für mich ist. Deine Rezension ist klasse und jetzt möchte ich doch gerne mal in das Buch reinschnuppern. Das mit dem ungeborenen Kind klingt vor allem sehr spannend! :)
    Liebe Grüße
    Maren

    Gefällt 1 Person

  5. Meine liebe Buchnachbarin,
    DAS Buch meintest du also als wir uns – ja war es echt vorgestern?! – gesehen hatten! Wie genial ist das bitte. Nach deiner Einleitung habe ich auch vorerst nicht weitergelesen. Wenn du sagst, es lohnt sich, dann muss ich es einfach lesen. Ich stelle mir die Perspektive einfach zu genial vor.
    Derweilen bin ich erst einmal gespannt, wie mir meine Neuzugänge aus dem Diogenes-Verlag so gefallen werden, allerdings bin ich jetzt schon positiv gestimmt.
    Alles liebe,
    deine Buchnachbarin

    Gefällt 1 Person

    • Liebe Buchnachbarin,
      jaaa genau das Buch meinte ich :)
      Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es dir zusagen würde.
      Bin auch gespannt, wie dir die Neuzugänge gefallen werden, ich bin aber recht zuversichtlich. Ein paar davon liegen auch auf meinem Stapel :)

      Liebe. <3

      Gefällt 1 Person

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